Kim Nena Duggen
11.12.2020
Türchen #11 im arcvent(s)kalender 2020
Nach langjährigen Zwistigkeiten entstand nach einer Volksabstimmung in 1920 die dänische Minderheit in Schleswig-Holstein. In der Anbahnung des zweiten Weltkrieges musste mein Großvater sich entscheiden, ob er der Hitlerjugend beitreten oder sich der dänischen Minderheit anschließen wollte – er entschied sich für die dänische Minderheit. So prägten dänische Institutionen wie Kindergarten, Schulen und Sportvereine auch meine Kindheit und Jugend. Ich wuchs mit dänischen Werten in Deutschland auf. Diese begleiten mich bis heute.
Im Studium war ich etwas überrascht, als die Professoren plötzlich anfingen, mich zu siezen. Dieses Konzept ist in der dänischen Sprache nahezu ungenutzt, da es der Königsfamilie vorbehalten ist. Auch in meiner ersten Tätigkeit war ich etwas verdutzt, dass mir attestiert wurde „es intern geschafft zu haben“, da ein Geschäftsleitungsmitglied mir das Du angeboten hatte. Nicht selten sprach man über mich folgendermaßen „Kim hat da ggf. eine hierarchische Grenze überschritten, das konnte sie nicht wissen, sie ist ja Dänin“. Offenbar ist mir nie wirklich verständlich geworden, wie dieses aus meiner Sicht künstliche Konzept zum Aufbau von Distanz und Respekt funktioniert. Als ich mit anderen Kollegen eine Initiative zur Förderung von Mitarbeitern gründete, überraschte es mich erneut, dass die Etablierung von Vätern in Elternzeit ein großes Thema wurde. In Dänemark ist es sowohl Müttern als auch Vätern durch stattliche Institutionen, wie „Vuggestue“ (Wiegenstube, Krippe für Neugeborene) und „Fritidshjem“ (Freizeitheim, Betreuung nach der Schule bis 18 Uhr) möglich, Karriere und Familie zu vereinbaren und sich gemeinsam um die Kinder zu kümmern. In Dänemark ist es keine Seltenheit um 15:30 Uhr ein leeres Großraumbüro vorzufinden, da sich Zuhause um die Familie gekümmert wird.
Dieser Stellenwert von Familie und Zusammenhalt ist sicherlich eine Grundlage für das Konzept „hygge“. Das Wort lässt sich am ehesten mit „gemütlich“ übersetzen – bedeutet aber soviel mehr. „Vi har det hyggeligt“ (Wir haben es gemütlich) „Vi hygger“ (Wir gemütlichen), „Tak for sidst, det var hyggeligt“ (Danke für neulich, es war sehr gemütlich), „Hyggeligt at moede dig“ (War gemütlich, Dich kennen zu lernen“), so könnte ich ewig weiter machen.
Die Vorliebe für hygge und das Bedürfnis danach ist ein wichtiger Teil der dänischen Mentalität. […] Es ist die Kunst, Intimität zu schaffen, ein Gefühl von enger Freundschaft, Heiterkeit und Zufriedenheit, alles kombiniert in einem Begriff. (Helen Dyrbye, Steven Harris und Thomas Golzen (1999))
Mein Mann beschrieb es mal so: „Im deutschen bezeichnet man vielleicht eine Couch als gemütlich, im dänischen könnte die Couch noch so gemütlich sein, wenn man von Idioten umgeben ist, stellt sich kein „hygge“ ein!“
Ein „Julefrokost“ (Weihnachtsfrühstück) zum Beispiel kann den ganzen Tag dauern, regelmäßig kommt weiterer Besuch, der Tisch bleibt den ganzen Tag gedeckt, es werden Weihnachtslieder gesungen, Schnäpse getrunken (nur zur Verdauung versteht sich), man hat es eben hyggelig!
Diese Mentalität drückt sich auch im Arbeitskontext aus. Sich zu vertrauen, für einander einzustehen, an andere zu denken, Harmonie zu wahren und vor allem gemeinsam zu entscheiden, also das Team einzubinden unabhängig von Hierarchie oder Macht ist in dänischen Arbeitskulturen sehr natürlich. Dies sind für mich Werte oder Einstellungen, die es braucht, um selbstorganisierte Teams erfolgreich zu machen. Und selbstorganisierte Teams sind für mich die Teams der Zukunft – sie bewältigen Komplexität. Es ist für immer wieder spannend, deutsche Organisationen von Innen zu erleben und meine dänischen Werte gegen Organisationen zu reflektieren – hier lassen sich gute Synergien schaffen ;-)
Wer sich mit uns am 17.12. bei spannenden Themen „hyggen“ möchte und unter anderem tiefere Einblicke in moderne Zusammenarbeitsformate sucht, dem sei unser Architektur-Punsch ans Herz gelegt.
Dazu könnten folgende dänische Klassiker hilfreich sein:
Rezept für dänischen Glögg - wer sich rechtzeitig angemeldet hat, sollte Zutaten schon bekommen haben – gerne zum Architektur-Punsch vorbereiten und mit uns genießen!
Flettede Julehjerter (geflochtene Weihnachtsherzen):
als Gebäck (dafür einfach Marmorkuchenteig zweckentfremden) oder
als Schmuck (typisch zu Weihnachten in vielen dänischen Haushalten) - Abbildung s. oben und eine Anleitung dazu von Funkelfaden